Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 16: Stefan Mesch

Für dandelion öffnen Blogger, Autoren, Verleger, Herausgeber, Lektoren und andere Verrückte ihre Herzen und stellen uns ihre persönlichen Lieblings-Liebesgeschichten vor.
Heute zu Gast: Stefan Mesch, Autor, Literaturkritiker (u.a. ZEIT Online und Freitag), Blogger (Stefan Mesch) – und Herausgeber eines 800-Seiten-ebooks zu 20 Jahren Verbotene Liebe mit u.a. Elke Heidenreich.

Ich mag energische, willensstarke Hauptfiguren: Erzähler oder Protagonisten, die Opfer bringen, sich Gedanken machen, Entscheidungen aus guten Gründen treffen – mit Ausdauer und Verstand.
Ich brauchte viel Zeit, um zu verstehen: Solche Rollen stehen und fallen mit ihren Gegenparts. Den Widersachern, Partnern, Nebenrollen und Ensembles. Eine komplexe Figur mit guten Gründen? Toll. Aber wenn die Gegenseite ebenso komplex ist? Genauso gute Gründe hat? Dann machen Lesen, Denken, Zuschauen Kopfschmerzen – auf die beste denkbare Art und Weise.
Die kleinen Streitereien von Tom und Lynette Scavo aus Desperate Houswives begannen als recht banale Alltags- und Krieg-der-Geschlechter-Comedy. Nach vier Staffeln/Jahren täglicher Konflikte, Kompromisse und Versöhnungen wurde dieses Vorstadt-Antihelden-Paar, zwei anfangs recht platte Rollen, zeitweise zu meinem Lieblings-Ehepaar, in jedem Medium. Denn beide Partner haben gute Gründe und die besten Absichten – und zerschellen, zerfleischen, zerfetzten sich sehr klug, liebevoll und gut gespielt. (Nach 87 Episoden brach ich die Soap trotzdem fürs Erste ab)

Weitere Favoriten:

1. Richard Yates – Revolutionary Road [Zeiten des Aufruhrs] (1961)

Die US-Housewives-Vorstadtwelt als Kulisse für ein smartes, bitteres, überraschend komplexes Ehedrama: Neu in der vermeintlich spießigen, konformen Nachbarschaft tun Frank und April Wheeler anfangs alles, um nicht selbst zu Spießern zu werden. Ein Ehe-Roman, der auch mit sehr viel platteren Figuren funktionieren würde – und dem ich hoch anrechne, wie wunderbar komplex verpfuscht beide Partner versuchen, über sich hinaus zu wachsen.

2. Vladimir Nabokov  – Ada; or Ardor: A Family Chronicle [Ada oder Das Verlangen] (1969)

Ein Landsitz! Privatlehrer! Endlose Sommer! Ada zeigt dieselbe Sorte sonnig-kitschige erste Liebe zwischen sorgenfreien, blasiert artistokratischen Sprößlingen wie zahllose russische Klassiker des 19. Jahrhunderts. Nur… Überspannter. Absurder. Böse verdreht. Jeder von uns kennt ein „großes“, gefeiertes Liebespaar, das ihn kalt lässt oder abstößt – wegen zu viel Süßholzraspeln, Melodrama, Dauer-Selbstverliebtheit, -mitleid und -bezogenheit beider Partner. Van und Ada sind die „American Psychos“ unter den Kitsch-Paaren. Zwei millionenschwere Gestörte – die sich für romantische Helden halten. Ein unverschämter, brillanter, hässlicher Roman – der zeigt, dass große Liebespaare oft wenig liebenswert sind, für die Welt um sie herum.

3. Michael Chabon – The Amazing Adenvtures of Kavalier & Clay [Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay] (2000)

Zwei jüdische Außenseiter im New York der 30er bis 50er Jahre – und eine Freundschaft, die den Weltkrieg und die Kommunistenverfolgung durch Senator McCarthy überdauern will: Michael Chabon erzählt von Kriegs- und Comichelden, Groschenheften und Entfesslungskünstlern, überraschendem Erfolg, blinder Ambition, brutalster Einsamkeit. Ich kenne kein anderes Buch, in dem über 600 Seiten lang ausgelotet wird, wie ein schwuler und ein heterosexueller Mann aneinander wachsen, voneinander lernen – ohne Hysterie, Intrigen, Eifersucht oder das billige Melodrama „verbotener“ Gefühle. Ein tolles Paar – weil hier nichts funkt. Und die platonische Freundschaft mitreißender, komplexer erzählt wird als anderswo die größten Liebes-Plots.

Drei kleinere Tipps: Animal Triste von Monika Maron (eine DDR-Forscherin blickt auf eine Affäre zurück und wird zum traurigen, verbitterten Fossil), One Day [Zwei an einem Tag] von David Nichols (zwei Perspektiven, 20 Jahre: toller britischer Mainstream) und The Garden of Eden [Der Garten Eden] von Ernest Hemingway (eine Sommerfrische, die sexuell außer Kontrolle gerät: viel reifer, sensibler und wilder als alle anderen Romanzen bei Hemingway).
Mein Lieblings-Liebespaar überhaupt sind Reporterin Lois Lane und Clark Kent (Superman) – denn die Autoren nutzen diese beiden Kollegen, Kontraste und Ikonen oft für ein geistreiches, sympathisches Wettrüsten: Wie kann eine Frau ohne Kräfte mit diesem Übermensch mithalten? Lois kann – denn oft ist sie viel härter, schneller, energischer und geistreicher als Clark. Zwei Menschen, die sich gegenseitig anspornen, herausfordern, das Beste rausholen aus ihren Unterschieden und Widersprüchen. Für den Berliner Tagesspiegel habe ich länger aufgeschrieben, was mir an Clark und Lois imponiert.

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 15: Zeffiretta

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Heute zu Gast: Zeffiretta, geboren 1982 in Berlin und Betreiberin des gleichnamigen Blogs Zeffiretta, wo sie uns ihre schöne Lyrik präsentiert. Literatur liebt sie „seit immer und für immer, Liebesgeschichten sowieso.“

1.
Spontan denke ich an die Wahlverwandtschaften von Goethe.
Diese Geschichte hat mich sehr berührt – und sie ist eine zum Immer-Wieder-Lesen. Wie sie auch der Werther ist. Aber da letzteres Werk bereits vor mir wertschätzend erinnert wurde, will ich eben die Wahlverwandtschaften, ein etwas „reiferes“ Werk aus Goethes Hand, hier zu einer meiner liebsten Liebesgeschichten krönen.
Dieses Werk erschien vor 205 Jahren und erzählt von der Unvorhersehbarkeit, Anmut und Leidenschaft, mit der eine neue Liebe daherkommen kann. Eduard und Charlotte könnten in zweiter Ehe endlich ihre Liebe verwirklichen, aber sie erfahren dennoch, dass eine größere, unplanbare und leidenschaftlichere neue Liebe auf sie beide wartet.
Ich spielte die junge, brünette Ottilie, in der ich mich wiederfinden konnte, einst in einer szenischen Lesung in Kochberg im Theater. Nebenan der Wohnsitz der Familie von Stein, der süße Garten, die ganze Szenerie… einfach schön!

2.
Orpheus und Eurydike.
In dieser antiken Sage wird neben der Kraft der Liebe auch die der Musik besungen. Der mit einer goldenen Stimme begnadete Sänger Orpheus betört die Götter der Unterwelt, um seine Geliebte wiederzusehen. Die Götter willigen ein, unter der Bedingung, dass Orpheus beim Hinaufsteigen in die Oberwelt sich nicht nach seiner geliebten Nymphe umschaut. Eine Geschichte von Musik, Schönheit, Versuchung, Täuschung und Enttäuschung.
Nach Orpheus‘ Tod sang sein Kopf übrigens immer weiter und wurde zusammen mit seiner Lyra an die Ufer der Insel Lesbos gespült. Heute ist seine Lyra am nächtlichen Himmel zu finden.

3.
Die schönen Mütter anderer Töchter.
Dieser Roman von Mirjam Müntefering ist zwar ein Roman der Neuzeit – aber wir wissen, dass gleichgeschlechtliche Liebe seit immer bekannt ist und auch gelebt wurde – wenn auch nicht öffentlich, wenn eine einseitig-denkende Umwelt diese verurteilte.
Diese Geschichte von Mirjam Müntefering – die übrigens nicht nur über Liebe von Frau zu Frau, sondern auch Geschichten für junge Menschen schreibt – erzählt die Liebesgeschichte einer 30-Jährigen, die sich zunächst in eine jüngere Frau verknallt, um sich dann in die Mutter der Angebeteten zu verlieben. Happy End inklusive.

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 14: Desirée Löffler

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Heute zu Gast: Desirée Löffler, gerade 31 geworden, Radio-Journalistin und süchtig nach dem Geräusch, das beim Umblättern einer Seite entsteht. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie vor einigen Jahren POP/KULTUR/SCHOCK gegründet und schreibt dort über Literatur, Fernsehserien, Musik, Filme und Comics.

Emily Brontë – Sturmhöhe
Brontë+SturmhöheEmily Brontës Sturmhöhe als Liebesroman zu bezeichnen, ist vielleicht abwegig, weil in dieser Geschichte eigentlich der Hass regiert. Aber es war der erste große Liebesroman, sogar der erste große Roman überhaupt, den ich je in den Händen hatte. Seitdem bin ich auf der Suche nach einem Buch, das mich so bewegt wie dieses.
Ich weiß noch genau, wie ich daran geraten bin: Mit 14 zum ersten Mal alleine in der Bibliothek für „Große“, und keine Ahnung, wie ich mich orientieren sollte. So viele Bücher! Aber den Namen Brontë hatte ich schon mal gehört, und außerdem war die Ausgabe, vor der ich zufällig stand, in vertrautem Reclam-Gelb. Ohne irgendetwas anderes darüber zu wissen, habe ich die Sturmhöhe mit nach Hause genommen, mich an einem verregneten Herbst-Sonntag an meinen Schreibtisch gesetzt und zu lesen begonnen.
Es fühlte sich an, als wäre die Leidenschaft eines ganzen Lebens in dieser einen Geschichte gelandet, in der zwei Ziehgeschwister sich so sehr lieben, dass der Rest ihrer Welt an dieser Liebe zerschellt. Und so ähnlich war es auch: Emily Brontë hat das einsame Pfarrhaus im Moor von Yorkshire nur für ein paar Jahre verlassen, als Mädchen. Danach bestand ihr Leben darin, sich um den Haushalt ihrer Familie zu kümmern und in ihren Geschichten zu leben. So weit wir wissen, hat sie sich nie verliebt.
Das ist ein verdammt hoher Preis, um so ein Buch schreiben zu können, aber das Ergebnis hat so viele Menschen so tief bewegt – zumindest für uns Leser ist die Sturmhöhe ein gewaltiges Geschenk.

Stephanie Perkins – Herzklopfen auf Französisch
Stephanie_PerkinsIch habe hin und her überlegt, ob ich dieses Buch mit dem furchtbaren Titel und dem noch viel furchtbareren Cover wirklich empfehlen kann. Ich habe mich schließlich selbst lange gegen das Lesen gewehrt, und war auch dann noch fest entschlossen, dieses Romänchen blöd zu finden. Aber es ist mir nicht gelungen.
Wir können uns wahrscheinlich alle auf Folgendes einigen: Romane haben viele Zwecke, und einer davon ist, uns an einen anderen Ort zu transportieren, in eine andere Zeit – uns die Möglichkeit zu geben, für ein paar Stunden ein anderes Leben zu leben. Liebesromane lassen uns nochmal – oder vielleicht sogar zum ersten Mal – die große Liebe finden. Nicht alle – bei Anna Karenina ist es mir nicht so gegangen. Aber mit Jane Austens schon.
In dieser Tradition schreibt Stephanie Perkins. Ihre Protagonistin ist gerade offen genug, um als Vehikel für die Leser(in – ich gebe zu, dass ich für Männer wenig Anreiz sehe) zu fungieren, und gerade sympathisch genug, damit man sich nicht allzu schlimm dafür schämen muss. Während dieses Mädchen sich also in Paris zum ersten Mal verliebt, war ich dabei – und zwar mit Haut und Haaren.
Die Bücher, während deren ich mich nochmal gefühlt habe, als sei ich fünfzehn und zum ersten Mal verliebt, inklusive Herzklopfen und Schweißausbrüchen, kann ich an einer Hand abzählen, und Herzklopfen auf Französisch gehört dazu. Trotz des Covers.

Rafik Schami – Die dunkle Seite der Liebe
rafik schami„Man müsste, dachte ich damals als Sechzehnjähriger, einen Roman über alle Spielarten der verbotenen Liebe in Arabien schreiben, und ich wünschte mir dies mit der ganzen Naivität eines Liebenden. Aber mein Handwerkszeug als Erzähler war noch nicht genügend ausgereift.“ Das schreibt Rafik Schami im Nachwort zu Die dunkle Seite der Liebe, seinem Lebenswerk. Zweiundvierzig Jahre hat es gedauert, bis die Idee in die Tat umgesetzt und der Roman geschrieben war, und das Ergebnis hat entsprechende Ausmaße: 1022 Seiten, und auf fast jeder geht es um die Liebe.
Schami erzählt wie eine Familienfehde zwischen zwei christlichen Clans in Syrien drei Generationen unglücklich macht. Im Zentrum steht eine Romeo und Julia-Geschichte, aber Schami windet tausendundeinen Handlungsstrang durch die verbotene Liebe: Vignetten um liebende, hassende, zweifelnde, verzweifelte und unschuldige Familienmitglieder. Er selbst bezeichnet seinen Roman als Mosaik.
Die dunkle Seite der Liebe erkundet die Liebe von allen denkbaren Seiten, und der Roman ist selbst der vielleicht längst Liebesbrief der Welt, gerichtet an Schamis Heimatstadt. Der Autor hat Damaskus seit 25 Jahren nicht mehr gesehen, der syrische Staat verwehrt ihm seit seiner Flucht die Einreise. Wie groß die Sehnsucht mittlerweile ist, verrät die letzte der 1022 Seiten:

Und nun schreibe ich den Satz, auf den ich Jahrzehnte hingearbeitet habe.
Dies ist der letzte Stein meiner Geschichte. Er liegt im Mosaikbild unten links und trägt die Nummer 304.
Ich werde nun aufstehen und zur Feier des Tages einen Espresso trinken. Ab morgen werde ich beim Aufwachen nur noch an Damaskus denken.

Brian K. Vaughan und Fiona Staples – Saga
SagaSaga ist streng genommen kein Roman, aber auch Brian K. Vaughans sensible Comic-Serie ist eine Variation des Romeo und Julia-Themas, diesmal zwischen zwei Bewohnern verschiedener Planeten. Und die Linie zwischen Comic-Serie und Graphic Novel ist ja sowieso fließend.
Die Space Opera ist nicht unbedingt mein Genre, aber Saga ist umwerfend. Vaughan und Staples erzählen aus der Perspektive der neugeborenen Tochter der beiden Liebenden, und der Ton der Geschichte ist oft sehr leicht, trotz aller Tragik. Innerhalb einer Doppelseite bringen sie mich zum Lachen, um mir dann Momente später das Herz zu brechen.
Saga beschäftigt sich in jeder Ausgabe aufs Neue damit, welchen Preis wir für die Liebe zu zahlen bereit sind, was wir hinter uns lassen, welchen Hass wir auf uns laden würden, wenn wir müssten. Und genau wie Rafik Schami kommen Vaughan und Staples zu dem Ergebnis, dass die Liebe zwar die Welt derer, die sie empfinden, mühelos auf den Kopf stellt, dass sie aber gegen Ressentiments und Rassismus nur schwer ankommt.

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 13: Tilman Winterling

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Heute zu Gast: Tilman Winterling, der Schöpfer des Literaturblogs 54books. Er ist Jahrgang 1987 und Jurist.

„Sorry, ich lese keine Liebesromane, und ich kenne auch keine außer dem Werther.“ So hätte meine unbedachte Antwort auf Frank Duwalds Frage lauten können, als er mich bat, bei seiner Reihe Die liebsten Liebesgeschichten mitzumachen. Wohlüberlegt, wie meist, habe ich mir aber keine Gedanken gemacht und zugesagt, über Werther kann man ja immer mal zwei, drei Zeilen schreiben. Nun schlich ich an meinen Regalen vorbei und belud mir die Arme mit zu erwähnenden Büchern: alles Liebesgeschichten.
Aber was ist schon eine Liebesgeschichte? Geht es nicht sowieso in jeder Form von Literatur immer nur um Liebe: Liebe zwischen Graf und Gräfin, Graf und Bauernmädchen, Eheleuten, Dahergelaufenen, Vampiren und Mondscheinmädchen, Monstern und Burgfräulein usw. usf. Die Bücher, welche ich mir auf den Arm lud, könnten unterschiedlicher nicht sein, und da sie bereits zweistellig sind, nur wenige Worte zu jedem.

Lehrjahre des Gefühls – Gustave Flaubert
In Flauberts L’Éducation sentimentale (Übersetzungen u.a. auch als Die Schule der Empfindsamkeit, Die Erziehung des Herzens, Die Erziehung des Gefühls) verliebt sich Frédéric Moreau in eine verheiratete Frau. Aufgrund dieser unerfüllt bleibenden Liebe verliert sich Moreau in Affären und versucht sich als Weltmann, um am Ende in Liebe und Leben zu scheitern.

Die Wahlverwandtschaften – Johann Wolfgang von Goethe
Ein überaus unterhaltsamer Roman aus der Feder des Dichterfürsten. Zwei Paare verlieben sich „über Kreuz“ und sind hin- und hergerissen zwischen Leidenschaft und Pflichtgefühl. Der Versuch, der Liebe zu entsagen, misslingt, und tragische Ereignisse nehmen ihren Lauf.

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Oblomow – Iwan Gontscharow
Ilja Iljitsch Oblomow ist ein russischer Adliger, der, auf seinen Reichtum gebettet, die eigene Faulheit zur Lebensmaxime kultiviert hat. Die Überwindung der Lethargie bahnt sich an, als Oblomow sich in Olga verliebt. Doch die Trägheit ist stärker als die aufkeimende Liebe.

Tante Julia und der Kunstschreiber – Mario Vargas Llosa
Ein inzestuöses Verhältnis des Neffen zu seiner (nur) vierzehn Jahre älteren Tante im Lima der 50er, eine Militärdiktatur und der ewige Kampf von Autoren um Anerkennung, zwischen dem eigenen Anspruch, Unterhaltung und der Notwendigkeit des Geldverdienens. Große, nobelpreisgekrönte Unterhaltung aus Südamerika – Anspruch und Unterhaltung in symbiotischer Liebe.

High Fidelity – Nick Hornby
Rob wird von seiner Freundin verlassen und nimmt dies zum Anlass, über die verflossenen Lieben seines Lebens zu sinnieren, sortiert in einer Top 5. Nick Hornby lässt den Trennungsschmerz mit Popmusik verschmelzen, ein Genuss für alle, die schon mal versucht haben, im Plattenladen um die Ecke ihre Sorgen abzugeben.

Die Nacht von Lissabon – Erich Maria Remarque
Eine große Liebe in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, ein Buch über Verlust, Treue und die Kraft zweier Menschen, sich trotz des ihnen widerfahrenden Unrechts einander zu begleiten. Wen dieses Buch nicht berührt, der hat kein Herz.

Ansichten eines Clowns – Heinrich Böll
Eines meiner ersten Lieblingsbücher, welches ich trotz aller Leidenschaft immer nur schlecht an andere vermitteln kann (entweder die Leute mögen keine Clowns oder sie mögen Böll nicht, meist sogar beides). Hans Schniers Leben und Karriere als Komiker zerbricht, nachdem ihn seine Freundin Marie nach einer Diskussion über die religiösen Voraussetzungen einer möglichen Ehe verlassen hat. Verlogene Moral in Nachkriegsdeutschland zwischen nationalsozialistischen und katholischen Werten.

Brand’s Haide – Arno Schmidt
Ein Kurzroman zum Herantasten an das Werk Schmidts. Der Kriegsheimkehrer Schmidt freundet sich mit zwei Flüchtlingsfrauen an und verliebt sich in eine. Im Deutschland 1946 stehen diese zarten Bande aber vor erheblichen materiellen Schwierigkeiten.

Mitten ins Gesicht – Kluun
Stijn begleitet seine krebskranke Frau beim Sterben. Selten so viel geweint und einer der Gründe, warum ich keine Krebsbücher mehr lese.

Eine blaßblaue Frauenschrift – Franz Werfel
Leonidas ist ein höchst erfolgreicher, weil aalglatter, Beamter im Wien der 30er Jahre. Sein Leben und seine Karriere geraten ins Wanken, als eine verflossene Jugendliebe mit der Bitte an ihn herantritt, sich für ihren Sohn einzusetzen. Nachgerechnet vermutet er, dass es sich um den gemeinsamen handelt und er denkt darüber nach, sein Leben zu ändern. Aber …

Die Leiden des jungen Werther – Johann Wolfgang von Goethe
Mein absolutes Liebeshighlight. Man hasst oder liebt den empfindsamen Werther in seiner Liebe zu Lotte, hält ihn für ein Weichei oder den Helden seiner Leidenschaft. Gleich, wie man sich entscheidet, dieses Buch muss man gelesen haben!

Ach, um das jetzt klarzustellen: ich lese keine Liebesromane!

Die liebsten Liebesgeschichten: Folge 12: Claudia Schuster aka Rosha Reads

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Heute zu Gast: Claudia Schuster, Jahrgang 1973 und Autorin des Romans Die Schwärze hinter dem Licht (2014). Unter dem Namen Rosha Reads ist sie als Leserin und Rezensentin unterwegs, zumeist in dem Forum Büchereule.de. Was mir nicht bekannt war: Auch Claudia fragte – lange vor mir – bereits nach Liebesgeschichten, und zwar nach Liebesromanen, die Männern gefallen.

Als ich eingeladen wurde, mich an dieser Blogaktion zu beteiligen, habe ich voll Freude gleich zugesagt. Die Aufgabe schien einfach: drei der schönsten Liebesromane aufzuzählen. Doch dann habe ich gestaunt, wie viele Gedanken man sich über dieses Begriffspaar machen kann. Was genau ist ein Liebesroman? Muss er ein Happy End haben, um als solcher wahrgenommen zu werden und nicht als Drama zu gelten? Und überhaupt, was ist schön? Dieses Adjektiv ist noch viel schwerer einzugrenzen.
Ich habe festgestellt, dass es nicht die bonbonrosa gefärbten Liebesgeschichten sind, die sich am eindringlichsten in meine Erinnerung gegraben haben. Obwohl ich Geschichten mit einem guten Ende wirklich sehr gerne mag.
Liebe, es gibt sie in so vielen Schattierungen und Ausprägungen, dass ich von der schieren Menge an Büchern, die ich hätte auswählen wollen, beinahe erschlagen wurde. Ich habe mich nun für drei Romane entschieden, bei denen die Protagonisten außergewöhnlich sind. Und damit auch ihre Liebesgeschichten.

Natascha Wodin – Nachtgeschwister
wodin nachtgeschwisterEin Buch über obsessive Liebe:
Als Roman angelegt, scheint diese Geschichte stark autobiografisch gefärbt zu sein. Vielleicht erwächst daraus die Intensität, mit der die Autorin Szenen einer schwierigen Beziehung darstellt, verstärkt durch die gewählte Perspektive, mit der sie uns die Frau als Ich-Erzählerin präsentiert.
Thematisch ist es eine hochspannende Story: Die Frau verliebt sich aufgrund eines kleinen Gedichtbändchens in den Schriftsteller Jakob Stumm. Sie schreibt ihm, ruft ihn an, bekommt ihn jedoch nicht zu fassen. Bis er dann eines Tages völlig unerwartet vor ihr steht. Das Bild, das sie sich von dem Mann gemacht hat, aufgrund dessen, was er schreibt, hat in der Wirklichkeit keinen Bestand. Dennoch ist sie dem Mann verfallen, kann sich nicht von ihm lösen. In obsessiver Abhängigkeit bleiben die beiden aneinander gekettet, quälen sich und harren dennoch aus.
Zeitlich spielt die Geschichte drei Jahre vor dem deutschen Mauerfall und in den Jahren danach. Jakob Stumm lebte in der DDR, die Frau als Kind russischer Emigranten im Westen Deutschlands.
Die Autorin schreibt mit leichter Hand flüssige Prosa, die insbesondere in der szenischen Darstellung zu großem Kino auffährt. Ihre Sprachgewalt erzeugt plastische Bilder vor meinem inneren Auge, transportiert Gefühle ohne beschwerend zu wirken. Ein großartiger Roman!

Claudia Schreiber – Emmas Glück
schreiber emmaEin Buch über eine unromantische, aber doch so bezaubernde Liebe:
Wer eine dieser puderrosa „Ich-habe-zwar-nur-zwei-Gramm-Übergewicht-bilde-mir-aber-ein-wie-ein-Walross-auszusehen“-Heldinnen erwartet, sollte lieber gleich die Finger davon lassen. Emmas größtes Problem ist auch nicht, darauf zu warten, dass der Angebetete endlich anruft. Nein, sie hat echte Probleme: Ihr Hof soll zwangsversteigert werden.
Emma ist anders. Emma ist skurril. Emma ist kernig und handfest. Und Emma schlachtet Schweine. Außerdem ist sie schlampig, unmöglich angezogen, ruppig im Umgang – und hat ein Herz aus Gold. Nahezu von Anfang an war ich von der Protagonistin hingerissen. Wie erfrischend anders!
Das Buch besticht durch komische Szenen, übertönt damit jedoch nicht die feinen, leisen Töne, die die Autorin ebenso erklingen lässt. Emma hatte es in ihrem Leben noch nie leicht. Aber sie ist eine Kämpferin.
Max bricht regelrecht in ihr Leben hinein, will erst gar nicht bleiben, doch die Umstände zwingen ihn dazu. Sein Glück, denn nun hat er Gelegenheit tiefer zu blicken als bis auf die schmutzverkrustete Oberfläche von Emmas Gummistiefeln und die hässliche Kittelschürze. Und was er da findet, hat es ihm angetan.
Das Buch ist lustig, traurig, eklig, skurril, romantisch und für mich sticht es aus der großen Menge hervor. Ich liebe es!

Astrid Rosenfeld – Elsa ungeheuer
Elas50-4_LEin Buch über unerfüllte Liebe:
Es gibt Bücher, die beginnen mit einem Satz, der den Leser unweigerlich ins Buch holt. Elsa ungeheuer ist so ein Buch. So beginnt es: „Für manche Menschen scheint die Erde einfach nicht der rechte Ort zu sein, und meine Mutter Hanna war so ein Mensch.“
Die Autorin hält das Versprechen, das sie mit ihrem ersten Satz abgibt: Der Roman bleibt bis zum Ende auf hohem Niveau.
Erzählt wird aus der Sicht von Karl Brauer und im Grunde ist es seine Geschichte. Dicht verwoben mit seinem persönlichen Kosmos sind sein Bruder Lorenz und Elsa, die er mit ganzem Herzen liebt.
Man kann über die Liebe eines kleinen, dicken Jungen lachen. Aber man sollte nicht.
Der größere Teil des Buches, „Teil I – Hunde“, führt den Leser in die Zeit, als Karl, Lorenz und Elsa Kinder waren. Mit Liebe zum Detail und doch ohne zu Überfrachten stellt uns die Autorin skurrile Figuren vor. Vor allem August Murmelstein, genannt das Murmeltier, schleicht sich in das Herz des Lesers. Ist er doch derjenige, der als einziger die Kinder aufrichtig zu lieben scheint. Er nennt sie immer „ihr herrlichen Kinder!“
Melancholisches wechselt mit Komischem, Heiterkeit mit Erschrecken. Ich lese den Text mit einem lachenden und einem weinenden Auge und zolle der Autorin großen Respekt, in welcher Art sie diese Gefühle transportiert: weder klamaukig noch larmoyant. Exzellent.
„Teil II – Wölfe“ zeigt uns Karl und Lorenz als Erwachsene. Lorenz taucht ein in die Welt der Künstler, reißt seinen Bruder mit in diesen Sog. Elsa spielt in diesem Teil der Geschichte eine untergeordnete Rolle, obwohl ihre Präsenz zu spüren ist. Karl hat sie verinnerlicht, in seiner tiefen Liebe.
Das Buch beherbergt ganz viele besondere Textstellen, auf denen das Auge verharrt, der Geist sich auf Wanderschaft begibt. Man gerät ins Nachdenken. Elsa ungeheuer hat mich angerührt, zutiefst. Es hat mich zum Weinen gebracht. Das passiert mir nur ganz selten beim Lesen von Büchern.
Es geht um nichts weniger als die Schmerzhaftigkeit tiefer Liebe, die nicht erwidert wird. Ich habe davon nicht nur gelesen, ich habe es gespürt, durch die Worte der Autorin. Großartig.

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 11: Chris Popp

Für dandelion öffnen Blogger, Autoren, Verleger, Herausgeber, Lektoren und andere Verrückte ihre Herzen und stellen uns ihre persönlichen Lieblings-Liebesgeschichten vor.
Heute zu Gast: Chris Popp, geboren 1974 und Dirigent der Seite booknerds.de, die seit 2012 existiert und inzwischen über einen 15-köpfigen Autorenstamm verfügt. Dort finden Rezensionen zu Literatur in Schrift und Ton statt, aber auch zu Filmen, Serien, Liveevents und mehr. Offenheit besteht nicht nur hinsichtlich der Medien, sondern auch hinsichtlich der Genres. Chris Popp ist gelernter Einzelhandelskaufmann und momentan als Verkäufer tätig. Er hat früher viel Musik gemacht und ist seit 2003 für diverse Online- und Print-Musikmagazine aktiv (namhafteste Stationen bei alldem: metal.de, Legacy, Multimania), seit Ende 2009 Redakteur bei Musikreviews.de und bei noisyNeighbours (bei letzterem inzwischen ausgestiegen, um booknerds.de zu gründen. Er ist in Heidelberg geboren und aufgewachsen und „2001 zu der besten Frau der Welt und ihren Töchtern in die nordhessische Pampa gezogen und nach wie vor glücklich und von Liebe erfüllt.“ Also bestens dafür geeignet, uns seine liebsten Liebesgeschichten vorzustellen.

Liebesgeschichten. Es klingt so trivial. Da fliegen vor dem inneren Auge schnell die rosa Herzchen umher, und im Hintergrund schnörkelt es unscharf. Ein Terminus eben, der durch seine Beschränktheit, die Worten nun mal innewohnt, im ungünstigen Fall klischeehafteste Assoziationen evoziert. Liebe kann man nicht in Worte fassen, denn dieses Etwas – ein Gefühl, ein chemischer Prozess, etwas Magisches, ein Weißnichtwas, was einfach da ist – ist so groß, so umfassend und vereinnahmend, dass man immer nur einen Teil davon beschreiben kann. Zeigen? Ja. Fühlen? Ja. Aber Geschichten zu schreiben, deren zentrales Thema Liebe ist, bedarf schon besonderer Begabung (wir reden von echten Büchern und keinen Standardschmökern). Man muss diese Liebe selbst erlebt, gegeben, gefühlt haben. Man muss ein unfassbares Maß an Empathie besitzen.
Meine genannten Werke sind eher aktuelleren Datums, also Titel aus den letzten paar Jahren – es sind die, die mir persönlich am besten und nachhaltigsten in Erninnerung geblieben sind. Mich berührt haben. Und wie immer bei Lieblingsdingen ist das, was folgt, nicht absolut und kann in einem Jahr schon wieder ganz anders aussehen.

Birbaek-Nele-Paul-orgEine wunderbare Liebesgeschichte hat der dänischstämmige, in Deutschland lebende Autor Michel Birbæk mit Nele & Paul erschaffen, aber auch eine unkonventionelle. Denn die namensgebenden Protagonisten lieben sich schon seit frühesten Jahren, doch irgendwann möchte Nele mehr als die traute Zweisamkeit im Dorf – Paul kümmert sich reizend um seine behinderte Mutter und entscheidet sich schweren Herzens gegen Nele. Also lässt er sie ziehen anstatt ihr zu folgen. Doch fast ein Jahrzehnt später taucht Nele wieder für ein paar Tage für die Haushaltsauflösung ihres Elternhauses auf und will woanders einen Neustart wagen. Paul möchte sie jedoch nicht ein weiteres Mal verschwinden sehen. Doch sie hat sich stark zum Negativen verändert. Er kann es nicht ertragen und möchte „seine“ Nele wieder glücklich erleben und tut alles Erdenkliche dafür, sie wieder lächeln zu sehen. Ihr das Gute im Leben schenken. Ihr seine Liebe geben und ihre empfangen – die Herzenswärme der Geschichte und die Schilderung der Gedankengänge Pauls entwickeln in ihrer Gesamtheit eine Kraft und Intensität, die verzaubert. Birbæk lässt seine Figuren hier nicht umherschmalzen und -schmachten, sondern schreibt simpel, roh, ehrlich und doch hochsensibel.

gregory-sherl-ab-morgen-ein-leben-langAuch Gregory Sherls Ab morgen ein Leben lang ist vom Schreibstil ähnlich gestrickt und weiß durch seine Unverfälschtheit zu überzeugen – Fernab von Standardromanzenstoff. Bibliothekarin Evelyn Shriner hat sich von ihrem Freund getrennt, und Godfrey Burkes, Mitarbeiter in einem Fundbüro, versucht seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. Mit mäßigem Erfolg, denn sie möchte das erst „prüfen“. Sie geht ihrerseits in eine Praxis, um die Zukunft zu ergründen, und er soll in die Praxis von Dr. Chin gehen, wo eine Vergegenwärtigungs- apparatur ihm die Zukunft mit Wunschperson und Wunschjahr als Film vorspielt. Vorher, in der Schlange bei der Anmeldung, trifft er auf Evelyn und unterhält sich mit ihr. Und seitdem bekommen die beiden einander nicht aus dem Kopf. Und die Geschichte, die sich zwischen den zweien entwickelt (die Kapitel wechseln zwischen Evelyn und Godfrey hin und her), ist gleichermaßen skurril wie berührend, gleichermaßen verzaubernd wie verstörend. Man möchte die beiden schlichtweg aufeinanderschubsen und sich für sie freuen, wenn sie denn zusammenkommen. Die Ungeduld macht einen fast fertig, und man will unbedingt, dass sie ihre Liebe auch dem Leser zeigen.

super sadSuper Sad True Love Story von Gary Shteyngart ist ein ganz anderes Kaliber. Dieses Buch spielt ein Stück in der Zukunft – Smartphones und Tablets waren einmal, mittlerweile tragen alle ein Gerät namens „Äppärät“ mit sich, mit dem man in Echtzeit Bewertungen und Informationen über die in der Umgebung anwesenden Menschen abrufen kann. Der nerdige 39-jährige Lenny Abramov ist nicht unbedingt der Muster-Adonis unter der Sonne und ist zudem noch einer derer, die echte, papierne Bücher lieben. Generell fühlt er sich der Technik nicht ganz so verbunden und sucht nach der Menschlichkeit im prädystopischen Amerika. Doch dieses ist voller Reizoverkills, voller Konsumwahn, und diametral dazu entwickelt sich der Bildungsstand der Menschen – wo soll er da Gleichgesinnte, vor allem aber Liebe finden? Als er auf Eunice Park, 15 Jahre jünger als er, trifft, ist er hin und weg von ihr, dieser koreanischstämmigen Schönheit. Die jedoch ist in etwa so unverschämt abgebrüht wie eben gutaussehend, und Lenny, Sohn jüdisch-russischer Eltern, versucht verzweifelt und geduldig, ihr Herz zu erobern – und geht dabei beinahe selbst vor die Hunde, so wie das Land, in dem er wohnt. Es geht einem das Herz auf, wenn man sich zu Gemüte führt, wie hingabevoll er ihre Gunst und Zuneigung zu gewinnen versucht und leidet mit ihm, wenn Eunice ihm durch ihr Verhalten ein Rätsel nach dem anderen aufgibt. Diese Ungewissheit fühlt sich beinahe an wie Liebeskummer, und man wünscht beiden einfach das Positivste: Dass Eunice sich öffnet und Liebe zeigt – und dass Lenny irgenwo in ihrem Herzen Platz findet.

DanielewskiDoch das außergewöhnlichste Buch, dessen zentrales Thema die Liebe ist, ist Only Revolutions von Mark Z. Danielewski. Die Art und Weise, wie die Geschichte des Jungen Sam und des Mädchens Hailey erzählt wird, ist wohl eine der kreativsten. Alles in diesem Buch dreht sich. Das Buch hat 360 Seiten, und nach jeweils acht gelesenen Seiten eines Sam-Kapitels muss man das Buch einmal umdrehen und liest acht Seiten von Hailey (oder umgekehrt). Zum Anfang der Story ist die Schrift noch groß und verkleinert sich von Kapitel zu Kapitel, während die gegenüberliegende (auf dem Kopf stehende) Geschichte des/der Angebeteten in immer größerer Schrift gedruckt werden. Und während Sams Geschichte von 1863 bis 1963 reicht und Haileys von 1963 bis 2063 (und sich die Umgebung stets mit anpasst), bewegen sich die beiden gen Buchmitte aufeinander zu und ab Seite 180 wieder voneinander weg, und wenn man das Buch fertig gelesen hat, kann man wieder von vorn beginnen – wie eine Endlosschleife. Hailey und Sam (deren Initialen übrigens punktsymmetrisch sind), die jeweils 90 aktive Wörter pro Seite in höchst kreativ-poetischer und typographisch sonderbarer Form zugeteilt bekommen (was pro Doppelseite wieder 360 ergibt) befinden sich in ihrem Erlebten fürwahr in einem Rauschzustand. Es dreht und wirbelt, es verwirrt und lässt den Leser Achterbahn fahren, ihn rätseln und genießen. Und letztendlich spiegelt Only Revolutions somit ziemlich perfekt wider, was wahre, echte Liebe sein kann: Ein schwindelerregendes Etwas, das dem Menschen die Sinne (positiv wie negative) rauben kann. Und einen dabei ganz schön durchzurütteln in der Lage ist. Ein Etwas, das selbst für Liebende so schwierig zu beschreiben ist wie für den Leser dieses Buch.

Liebe muss zwar nicht in jeder Kunstform – ganz gleich, ob Literatur, Musik oder Film und Fernsehen -, präsent sein, doch sie bereichert unser Leben und es ist schön, dass sie eben auch dort zu finden ist. Ohne Liebe wären wir emotionslose, egoistische Tiere, die nur nach Instinkt handelten und ihrem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb nachgingen. Wir sollten uns glücklich schätzen, Liebe empfinden und geben zu können. Und, ganz wichtig: Auch die Liebe zu Büchern, zu Musik und generell zu Kunst ist eine Form der innigen Zuneigung. Hätten wir Liebe nicht, wären wir demnach nicht nur eine einfach nur „funktionierende“ Spezies, sondern auch eine ohne die wunderbare Vielfalt der Kultur.

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 10: Gerd aka flattersatz

Für dandelion öffnen Blogger, Autoren, Verleger, Herausgeber, Lektoren und andere Verrückte ihre Herzen und stellen uns ihre persönlichen Lieblings-Liebesgeschichten vor.
Heute zu Gast: Gerd aka flattersatz, „mittlerweile grauhaarig, also nicht mehr ganz jung.“ Sein Bücherblog aus.gelesen besteht jetzt seit Anfang 2008 und ist mit den Jahren sehr umfangreich geworden. Beruflich hat er nichts mit Literatur oder Büchern zu tun, „ich lese einfach gerne und damit ich nicht so viel vergesse (bzw. ich mich wieder erinnern kann), schreibe ich halt ein bisschen was auf, was mir zu meinem Lesestoff so einfällt…“

Ein spontanes „Ja – aber“ bekam Frank zu hören von mir, nachdem er mich gefragt hatte, ob ich bei seinem Projekt mitmachen wollte. Ja: klar, immer. Aber: Liebesgeschichten sind nicht gerade ein Schwerpunkt auf aus.gelesen… aber andererseits, ist es nicht vielmehr so, dass irgendwo die allermeisten Geschichten, die von Menschen handeln, auch von der Liebe handeln? Ist nicht die Liebe in allem, was der Mensch macht oder nicht macht, verborgen? Und seltsamerweise (wobei das falsch ist, es ist eigentlich gar nicht so seltsam) kommen in meinen Bücherregal viele dieser Art von Liebesgeschichten zwischen Menschen vor, die am Ende ihres Lebens stehen, die von anderen begleitet werden auf dieser letzten Etappe, in der die Liebe sich so ganz anders äußert als wir unwillkürlich denken, wenn wir von ihr reden.
Aber keine Sorge, ich habe dann doch andere Geschichten ausgewählt. Mark Twains fiktives Tagebuch von Adam und Eva, das uns – Männern wie Frauen – einen Spiegel vorhält, in dem wir uns wieder erkennen können und das das Entstehen eines Gefühls verfolgt, einer Liebe, die nicht dem Einschlag eines Blitzes gleicht….
Chimos Liebesgeschichte dagegen ist tragisch, sie endet ohne happy end, hatte im Grunde nie eine Chance…. Lila war alles… sie werden sie verbrennen…“
Tja, und dann ein Gedicht, ein Liebesgedicht der anderen, der nüchternen, melancholischen, abgeklärten Art. Keine Romantik, kein Zuckerguss und doch viel Gefühl, vllt sogar ein Wiedererkennen… Mascha Kaléko.

Mark Twain: Das Tagebuch von Adam und Eva.
twain-cover-2Die allererste Geschichte von Mann und Frau, zumindest für unseren Kulturkreis, ist die von Adam und Eva. Twain erzählt sie hier auf seine ganz besondere, ironische Art und Weise, wobei es seine Kunst ist, dass niemand sich ob seiner Schwächen und Fehler verletzt fühlen muss, im Gegenteil, man erkennt sich mit einen Lächeln wieder in Adam oder auch Eva.
Nein, sie können sich nicht verknusen, die beiden. Adam war der Erste, zweifelsohne. Es war Ruhe um ihn, er konnte dies alles genießen, fragen war nicht sein Ding, außerdem, wen hätte er fragen sollen? Selbst ist dagegen die Frau, dieses auf einmal plötzlich erscheinende langhaarige Wesen, das dieses seltsame Wort „Wir“ in die Welt setzt. Wo er Genießen und Schauen wollte, testete sie, probierte sie, benannte sie. Sie gab allem, was ihr unter die Augen kam, ehe er sich’s versehen konnte, einen Namen. Und Schilder gab’s auf einmal, so wie “Rasen betreten verboten“: Es war ungemütlich geworden. … und dann diese Sache mit dem Baum und dem Apfel, weswegen sie weglaufen mussten und jetzt hungerten sie, aber andererseits hatte sich seit diesem Tag sein Blick geändert, denn manchmal , wenn er sie anschaute, empfand er, wie schön sie war und daß das Leben mit ihr besser war als ohne sie. Und sie? Sie liebte ihn einfach nur, weil er da war, weil er ein Mann war, weil er ihr Mann war… Eva hatte mit dem Apfel den Tod in die Welt gebracht, sie hatte Leben in die Welt gebracht und sie verließ diese Welt, ließ Adam zurück. Und nichts war Adam deutlicher als diese Erkenntnis: Wo sie war, dort war Eden”.

Chimo: Sagt Lila
chimoVor Jahren besuchte ich eine Lesung erotischer Geschichten durch die Schauspielerin Nina Petry , die unter anderem aus dem Roman Sagt Lila las, in dem – so die Geschichte hinter dem Buch –  Aufzeichnungen eines jungen Franzosen arabischer Herkunft wieder gegeben werden:
„Sagt Lila“ ist keine Wohlfühlgeschichte. Wie könnte sie! Chimo wächst als „Araber“ in einem der Pariser Banlieus auf, er trifft auf die etwas jüngere Lila, die so blond ist, als hätten „Seidenraupen golden Fäden gekackt“. Lila plappert auf Chimo ein wie noch nie ein Mensch. Schon bei ihrer ersten Begegnung hebt sie den Rock für ihn und läßt ihn schauen… sie treffen sich öfters und Lila redet mit ihm und er merkt sich die Worte und nachts schleicht er in sein Büro, das er sich eingerichtet hat in irgendeinem der Häuser, von denen man nicht weiß, ob sie nie fertiggestellt wurden oder schon wieder zerstört sind, richtet es sich ein mit einer Bank und einem Tisch aus Steinen mit einer Kerze drauf, die er einer blinden Frau geklaut hat, die sie eh nicht braucht und er hat sich jedes Wort, das Lila gesagt hat…
Es ist eine zutiefst traurige, deprimierende, anrührende Geschichte, die dieser Chimo erzählt, eine Geschichte voller Hoffnungslosigkeit, Verrohung, Gewalt, die Geschichte von Menschen, die keine Zukunft haben, die sich aufgegeben haben. Die von der Hand in den Mund leben an Orten, an denen man nicht an der Häuserwand gehen sollte, weil der Müll nur noch aus dem Fenster geschmissen wird, weil es stinkt und dreckig ist und kaputt und keiner sich darüber mehr aufregt – außer Chimo, der dies sieht und der von Lila angesprochen wird und sich immer mehr in dieses seltsame Mädchen verliebt, die ihm die Kraft gibt, zu schreiben, seine Gefühle in Worte zu fassen.

Als letztes something completely different. Ich bin als Schüler leider nie mit Gedichten sozialisiert worden. Seinerzeit konnte ich zwar noch gut auswendig lernen, wollte aber nicht. Heute sind die Verhältnisse genau anders herum, das eine oder andere Gedicht würde ich gerne auswendig können, aber… Etwas besonderes für mich sind immer die Verse von Mascha Kalékoich weiß nicht, warum. Sie berühren etwas sehr tief in mir, im Gegensatz zu vielem, dem meisten, was ich lese und (mehr oder weniger) verstehe, fühle ich hier… stellvertretend will ich ein kurzes Gedicht hier wiedergeben, melancholisch-nüchtern, wie ihre Gedichte eben oft so sind:

Ich und Du wir waren ein Paar
Jeder ein seliger Singular
Liebten einander als Ich und als Du
Jeglicher Morgen ein Rendezvous.
Ich und du wir waren ein Paar
Glaubt man es wohl an die vierzig Jahr
Liebten einander in Wohl und in Wehe
Führten die einzig mögliche Ehe
Waren so selig wie Wolke und Wind
Weil zwei Singulare kein Plural sind

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 9: Julia Beyer

Für dandelion öffnen Blogger, Autoren, Verleger, Herausgeber, Lektoren und andere Verrückte ihre Herzen und stellen uns ihre persönlichen Lieblings-Liebesgeschichten vor.
Heute zu Gast: Julia Beyer, geboren 1979 in Berlin. Sie ist ausgebildete Keramikerin und Autorin des Literaturblogs Wortumdrehungen.

Die Ratlosigkeit, mit der ich spontan auf Frank Duwalds Frage nach den liebsten Liebesgeschichten reagiert habe und die mich bis jetzt noch nicht ganz losgelassen hat, wunderte mich zunächst selbst ein wenig. Schließlich bewege ich mich literarisch ausgiebig im 18. und früheren 19. Jahrhundert und da kommt man am „courtship plot“ eigentlich kaum vorbei – vor allem nicht in der von mir so geschätzten englischen Literatur dieser Zeit. Dieser Widerspruch lässt sich vielleicht damit erklären, dass man die dort teilweise minutiös ausgebreiteten und eher klischeehaft formulierten Gefühlsregungen und Gefühlsverwirrungen aus heutiger Sicht kaum noch ernsthaft nachfühlen kann. Vielmehr sind sie (für mich als Kulturwissenschaftlerin) unter dem Gesichtspunkt interessant, was eine bestimmte Gesellschaftsschicht – nämlich die bürgerlich-lesende – als authentisch, bewegend, didaktisch wertvoll oder persönlichkeitsbildend verstand. So weit, so akademisch. Die „Liebesgeschichten“ dieser Literaturepoche sind also nur sehr marginal als solche heute noch mitreißend. Vielmehr stellen sie einen äußeren, meist konventionell geprägten Rahmen dar, in dem sich dann die eigentlich spannenden, progressiven oder sonstwie „wegweisenden“ Aspekte des frühen Romans entfalten, die mich so interessieren. Wohl deshalb fiel mir die Auswahl schwer, zumindest wenn ich mein Bücherregal durchgehe – lauter „Liebesgeschichten“, aber nur sehr wenige, die mich als solche bewegt haben. Was die Wahl wiederum auch ganz leicht macht.

Austen ÜberredungZunächst ganz vorhersehbar und gerade deshalb wichtig, weil noch immer zu oft als Autorin bloßer „Frauenliteratur“ oder – noch schlimmer? – von „Liebesromanen“ (also per se schon „trivial“) gehandelt wird, und man dem nicht oft genug widersprechen kann: Jane Austen. Tatsächlich steht in allen ihren Romanen mindestens eine Liebesheirat am Ende der erzählten Geschichte. Die überragt allerdings in so scharfem Kontrast all die fast ausnahmslos deprimierten, resignierten oder ähnlich unglücklich Verheirateten, die dem Leser auf dem Weg dahin begegnen, dass das „Happy End“ einen durchaus zwiespältigen Beigeschmack bekommen kann. Nicht mein liebster Austen-Roman, aber bestimmt die liebste Liebesgeschichte, ist die in Persuasion (deutsch als Überredung) – Austens letzter, erst posthum veröffentlichter Roman, der 1816 entstand. Ein Roman über die zweite Chance, die sich wohl jeder schon einmal vergeblich gewünscht hat, und die dieses „Happy End“ so besonders befriedigend macht. Hier wird die sonst so distanzierte oder kühl-satirische Autorin zur Romantikerin im Sinne von Byron, Shelley oder Wordsworth. Die Natur, die Jahreszeiten, die ländliche Umgebung dient als emotionale Reflektionsfläche, die immer wieder – schließlich sind wir hier bei Austen – ironisch gebrochen wird. Trotzdem kommt der tragische Kern voll zum Tragen. Nicht auf sturmumtosten Heidelandschaften wie bei den Brontës, oder in exotisch-gotischer Umgebung wie bei ihren Zeitgenossen. Es sind vermeintlich kleine, alltägliche und „häusliche“ Situationen in denen sich die inneren, so treffend beobachteten und beschriebenen Dramen abspielen, und die gerade deshalb umso bewegender und nachfühlbarer erscheinen – und das auch noch 200 Jahre später. So in der finalen, wunderbar konstruierten Aussprache zwischen Anne Elliot und Frederick Wentworth, die eigentlich gar nicht als solche stattfindet – so wie bei Austen interessanterweise kaum eine der zentralen „Liebesszenen“ wirklich direkt und ausformuliert „auf dem Papier“ stattfindet. Wie so viele wirklich gute Autoren vertraut sie darauf, dass das Unausgesprochene lauter und deutlicher zum Leser und zum Herzen spricht als das Ausgesprochene.

„I do not think I ever opened a book in my life which had not something to say upon woman’s inconstancy. Songs and proverbs, all talk of woman’s fickleness. But perhaps you will say, these were all written by men.“ „Perhaps I shall. Yes, yes, if you please, no reference to examples in books. Men have had every advantage of us in telling their own story. Education has been theirs in so much higher a degree; the pen has been in their hands. I will not allow books to prove anything.“

Brontë+SturmhöheAls Gegenprogramm zu derartig kontrolliertem, psychologischem Realismus kommt man an Emily Brontës Wuthering Heights (deutsch als Sturmhöhe) nicht vorbei. Ein Roman von 1847 der bis heute als „klassische Liebesgeschichte“ missverstanden wird. (Romeo und Julia bzw. Goethes Werther wären hier vielleicht auch gut aufgehoben.) Als ich den Roman vor vielen Jahren – mit genau dieser Erwartung – zum ersten Mal gelesen habe, war ich entsetzt. Ich kann mich erinnern, dass ich mich beim Lesen gefühlt habe, als würde ich durch einen endlosen Sumpf waten. Kein Wunder: Es regnet oder schneit ständig und man blickt bei all den Figuren, Erzählern und Zeitsprüngen schnell kaum noch durch. Wirklich aufwühlend finde ich aber bis heute, mit welcher Direktheit hier von einer jungen Autorin von all der Eigennützigkeit, Grausamkeit und Selbstbezogenheit erzählt wird, die sich als Liebe tarnt. Hier hasst in Wirklichkeit jeder jeden, und wenn man sich nicht hasst, verachtet man sich oder bringt zumindest das Schoßhündchen um. Ziemlich düster also, aber auch ziemlich großartige Literatur. Einen Lichtblick in diesem Elend gibt es gegen Ende des Romans, und vielleicht ist es die zarte, freundschaftliche Annäherung zwischen Hareton Earnshaw und Catherine Linton, die am ehesten den Titel „Liebesgeschichte“ in unserem modernen, positiven und hoffnungsvollen Sinn verdient.

I have dreamt in my life, dreams that have stayed with me ever after, and changed my ideas; they have gone through and through me, like wine through water, and altered the color of my mind. And this is one: I’m going to tell it – but take care not to smile at any part of it.

Forster+MauriceAbseits dieser vielbegangenen Wege zumindest noch eine weniger offensichtliche Wahl. E. M. Forster kann man auch zu den vielen großartigen, klassischen englischen Autoren zählen, bei denen sich Liebe und Leidenschaft unter zugehaltenem Deckel (oder zumindest nach Ende des Romans) abspielt. Sein 1913 entstandener und erst 1971 posthum veröffentlichter Roman Maurice lässt den Deckel fliegen – zumindest den Deckel, den Forster zeitlebens über seine mehr oder weniger heimlichen homosexuellen Neigungen gehalten hat. Das als literarischer Stoff so ewig attraktive insgeheime Sehnen, Zweifeln und Begehren hat in Maurice also noch eine zweite, gesellschaftlich sehr brisante Ebene, die umso brisanter wird, als dass zumindest einem der liebenden Männerpaare ein handfestes und vielversprechendes Happy End vergönnt wird. Forster ist wie Austen ein Meister der Reduktion, des Weglassens und des Schweigens – was die emotionale Intensität der zwischenmenschlichen Beziehungen seiner Figuren für mich nur umso bewegender, und die gelegentlichen Ausbrüche umso mitreißender macht.

“I knew you read the Symposium in the vacation,“ he said in a low voice. Maurice felt uneasy. „Then you understand – without me saying more – “ „How do you mean?“ Durham could not wait. People were all around them, but with eyes that had gone intensely blue he whispered, „I love you.”

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 8: Anna aka buchpost

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Heute zu Gast: Anna vom Blog buchpost – der inhalt meines Buchregals. Anna ist 49 Jahre, Lehrerin in der Provinz, weshalb Literatur für sie überlebenswichtig ist.

Als Frank mich fragte, ob ich Lust hätte mitzutun bei der Frage nach den drei schönsten Liebesgeschichten, sagte ich fröhlich und völlig unbedacht zu. Und dann ging das Grübeln los. Natürlich hat Birgit von Sätze&Schätze recht, fast alle großen Liebesromane und -dramen enden tragisch. Vielleicht, um uns an die Endlichkeit selbst der schönsten Liebe zu erinnern? Ich warte jedenfalls immer noch auf einen Roman, der eine glückliche Liebe schildert, der nicht kitschig oder verlogen daherkommt.
Und wann hatte ich eigentlich zuletzt einen richtig großartigen Roman gelesen, in dem die Liebe eine entscheidende Rolle spielte? Jahre her.
Man müsste also eigentlich dringend mal wieder… So lange will Frank aber sicherlich nicht auf meine Antwort warten, also beherzt in den Erinnerungen gekramt. Und dann war innerhalb weniger Minuten klar, wen ich hier nennen werde:

Brontë+Sturmhöhe1. Wuthering Heights von Emily Brontë – erschienen 1847
Eine ihrer Zeit weit vorausgreifende, genial gestaltete Erzählperspektive, Dramatik und Spannung, Liebende, die aneinander schuldig werden und zueinander nicht finden, der dunkelschöne Heathcliff, der sogar noch von Kate Bush besungen wurde, und das Ganze angesiedelt in Yorkshire.
Der erste Satz: „1801 – Soeben bin ich von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekehrt – diesem einsiedlerischen Nachbarn, der mir noch zu schaffen machen wird.“

 

2. Anna Karenina von Lew Tolstoi – erschienen 1873 bis 1877
So klug. So fein nuanciert.
Und der berühmte erste Satz: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“

3. Der Nachsommer von Adalbert Stifter – erschienen 1857
Ich weiß nicht mehr, wer es war, der dieses Buch als das langweiligste Buch der Weltliteratur bezeichnet hat. Da ist schon etwas dran und trotzdem muss ich diesen Roman alle paar Jahre lesen. Er ist etwas ganz Eigenes und schildert den idealen Bildungsweg des jungen Heinrich Drendorf, und dazu gehört natürlich auch die Liebe. Wer den Roman gelesen hat – und nicht vorher an den seitenlangen Beschreibungen von Möbelstücken u. Ä. verzweifelt ist – , der sollte dann noch eine Biografie zu Stifter lesen. Es hat mich damals sehr bewegt zu begreifen, wie weit das im Roman entwickelte Bild des idealen Lebens vom Leben des Autors abwich.
Der erste Satz: „Mein Vater war ein Kaufmann.“

Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 7: Thomas Sebesta

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Heute zu Gast: Thomas Sebesta, leidenschaftlicher Sammler von Phantastischer Literatur. Er ist der Chefarchivar der Science Fiction und Phantastik, denn seit Jahrzehnten füttert er Datenbanken mit Informationen zum Thema, beispielsweise auch auf seinem Blog Treffpunkt Phantastik – Tummelplatz deutschsprachiger Sekundärliteratur. Er wohnt südlich von Wien und ist hauptberuflich Bestatter.

Ich bin hoffnungsloser Phantast. Gleich danach Hard-Core-SF-Liebhaber – unrettbar, unwiderruflich – Lebensschicksal. Zwar habe auch ich unbestritten zarten Saiten, die man zum Klingen bringen kann. Mit Liebesromanen habe ich jedoch eher nichts am Hut. Außer meine Frau zwingt mich, über die Wertigkeiten von Pilcher & Co Statements abzugeben, die sie eigentlich nicht hören will. Sie nennt mich dann, vermutlich zu Recht, einen Ignoranten. Natürlich gab und gibt es auch Liebesromane im phantastischen Setting – Biss und Blut geben reichlich Zeugnis darüber. Ich hab‘ probiert und als „Buchhalter der Phantastik“ bin ich gezwungen, dies zur Kenntnis zu nehmen. Solche Bücher fristen bei mir ein sehr kümmerliches Dasein, in der finstersten Ecke meiner Bibliothek. Nur die Tatsache, dass es sich um Bücher handelt, rettet sie vor dem Feuer. Die Feuerbowlenzange, um sie nach Erfordernis aus dem Regal zu nehmen, steht gleich daneben. Im Bereich der Science Fiction kommt man eher selten mit einem Setting als Liebesroman in Kontakt, ich würde sogar behaupten, nie. Hätte nicht 2003 Audrey Niffenegger ihren Debütroman Die Frau des Zeitreisenden veröffentlicht. NiffeneggerNun wird dieser Roman in viele Genreecken geschoben und von Chick-Lit (Tussiliteratur) über Fantasy bis Zeitreiseroman verortet. Alles stimmt. Mich persönlich hat er aber, als gefühlter SF-Roman, tief berührt. Abgesehen davon, dass Zeitreise auf Grund einer genetischen Abweichung eine Wahnsinnsidee ist, kommt die Schilderung der damit verbundenen Implikationen packend über einem. Es ist auch ein Stück Abenteuer, das in diesem Buch mitverpackt wurde. Entgegen der üblichen Auseinandersetzung des Zeitreisethemas, mit der metaphysischen Frage nach Zeit und Welt oder einer alternativen Betrachtung von meist vergangenen Zeiten, zeigt der Roman eine persönliche Love-Story. Der Gendefekt wird impliziert und nicht weiter hard-coded untermauert – das Buch fällt damit wohl unter Soft-SF und erfüllt damit auch gerade noch die Minimalerfordernisse für eine Einordnung in die Phantastik. Der Roman ist ein „persönlicher“ Roman. Es wird nicht versucht die Welt zu retten, zu verbessern oder zu verändern. Der Roman spielt in der zeitnahen, persönlichen, Welt der Protagonisten und Henry, der Zeitreisende, nutzt die Möglichkeiten, die sich aus seinen zeitlichen Verschiebungen ergeben, lediglich in allenfalls egoistischer Natur für sich. Einschübe von den Ereignissen des 11. September 2001 siedeln den Roman im Jetzt an. Die Liebesstory zwischen Henry und Clare ist geprägt von seiner Gen-Abnormität. Fast jeder Moment ihres Lebens wird bestimmt durch die nicht beeinflussbare Fähigkeit Henrys, in der Zeit zu reisen. Die Liebe scheint vorherbestimmt, und schon in sehr jungen Jahren lernt Clare Henry als älteren Mann kennen. Die Überschneidung der einzelnen Lebenssituationen bilden das Faszinosum der Geschichte. Clare heiratet unter anderen einen gerade erschienenen älteren Henry-Ersatz, weil der „Richtige“ auf Zeitreise ist. Die Zeugung einer Tochter wird durch ein jüngeres Henry-Äquivalent möglich, obwohl der aktuelle Henry eine Sterilisation vornehmen ließ. Krisen in der Beziehung werden durch das Erscheinen einer älteren „Version“ Henrys konterkariert. Auch die Episoden in denen es um den Kinderwunsch der beiden geht, gestalten sich emotional sehr packend. Zunächst gelingt es nicht, ein lebensfähiges Kind zu gebären, weil die Kinder Henrys Gen-Mutation erben und durch diese noch während der Schwangerschaft ums Leben kommen. Schließlich werden diese durch die Zeitreise aus dem Bauch der Mutter entfernt. Aber schlussendlich kommt doch ihre Tochter Alba zur Welt. Vater und Tochter begegnen sich des Öfteren in verschiedensten Lebensphasen, und bei einer Begegnung erfährt Henry, dass er sterben wird, wenn Alba 5 Jahre alt ist. Die Beziehung der beiden ist sehr plausibel dargestellt und die Beschreibung der Schwierigkeiten gehen von normalen Beziehungsproblemen bis in die Absurdität der erschaffenen Situation. Die Liebe aber schwingt immer in den Zeilen unverkennbar mit. Das Ende der Geschichte wurde sehr kontrovers diskutiert. Happy End oder tragisches Ende? Henry, der bei seinen Zeitreisen immer vollkommen nackt in der Zeit versetzt wird, zieht sich eines Tages so schwere Erfrierungen seiner Füße zu, dass ihm diese amputiert werden müssen. Dieser Umstand führt zu einem Unfall während einer weiteren Zeitreise, der ihn, tödlich verwundet zurückgekehrt, in den Armen Clares sterben lässt. Ein von ihm hinterlassener Brief hält Clare ab, sich das Leben zu nehmen und als 80-Jährige trifft sie den 43-jährigen Henry ein letztes Mal, als er ihr auf einer seiner Zeitreisen einen Besuch abstattet. Vierzig Jahre nach seinem Tod scheint es ein Happy End zu geben. Aber kann das Warten in Einsamkeit, über 40 Jahre, für einen kurzen Moment der Erinnerung an glückliche Zeiten als Happy End durchgehen? Die Geschichte ist sehr klug entwickelt und auch wenn einige lose Enden (meiner Meinung nach um Tochter Alba) übrig geblieben sind, überzeugt der Roman in seiner komplexen Geschlossenheit. Niffenegger ist es gelungen aufzuzeigen, dass Science Fiction durchaus ein Medium ist, in dem auch Emotionen Platz haben können. Die Gefühle funktionieren in dieser intelligenten Geschichte und erweitern das Genre um eine Komponente, die meiner Erfahrung nach bis jetzt gefehlt hat, ohne dabei auf die billige Trivialliteraturschiene aufzufahren. Niffenegger zeigt auf, dass das phantastische Element in der Science Fiction sehr gut neben dem romantischen Element des Liebesromans bestehen kann, ja, das beide sich wie Liebende ergänzen. Jedenfalls hat mich dieser Roman so berührt, dass ich ihn in einer Nacht ausgelesen habe und nach dem Ende es mir nicht möglich war, noch zwei, drei Stunden Schlaf für einen neuen Tagesbeginn zu finden. Traurig, aufgewühlt und doch erfüllt hat dieser Roman eine Saite in mir zum Schwingen gebracht, die heute noch nicht wirklich zur Ruhe gekommen ist.