Originalveröffentlichung:
Four Ghosts in Hamlet (1965)
In der wohligen Welt des klassischen Theaters spielt „Four Ghosts in Hamlet“ von Fritz Leiber. Entgegen des Titels geht es in der atmosphärischen und dramaturgisch wohldurchdachten Erzählung in der Hauptsache um einen Geist und die Frage, ob der Geist aus Hamlet auf der Bühne von einem Menschen oder von einem Geist gespielt wurde.
„Four Ghosts in Hamlet“ wird in der ersten Person von Bruce erzählt, einem Angehörigen der Theatergruppe „Govemor’s Company“, die durch die Lande tingelt und immer wechselnde Stücke von Shakespeare in rotierenden Besetzungen aufführt. Die drei Damen der Truppe vertreiben sich die Langeweile in den Freizeiten mit spiritistischen Sitzungen auf einem Ouija-Brett. Bruce, der klarstellt, dass er nicht an Derartiges glaube, hat persönliche Gründe, den Sitzungen der Damen gegenüber alles andere als positiv eingestellt zu sein. Er hat sein Herz an die Ophelia-Darstellerin Monica Singleton verloren und stellt fest, dass seine Chancen, bei ihr zu landen, seit der Beginn der Ouija-Mode im Sinken begriffen sind. Monica, die bei den beiden anderen, schon länger praktizierenden Damen als begabtes Medium gilt, hat offenbar nur noch Interesse für das Buchstabenorakel hat.
Die gesamte Handlung zentriert sich in der nahenden Aufführung in Wolverton. Das dortige Theater „Monarch“ ist eine dankbare Kulisse für die weiteren Ereignisse. Schon ewig hat hier keine Vorstellung mehr stattgefunden, und der Ort wird von den Darstellern als schaurig und verstaubt empfunden. Bruces Entdeckung, dass ausgerechnet auch noch Fledermäuse ihre Kreise durch das Gebäude ziehen, machen den Ort zu einer Traumkulisse für das Irrationale. Ausgerechnet Bruce beginnt an diesem Tag, das Übernatürliche zwischen den Wänden des Monarch zu „riechen“. Kurz vor der Vorstellung wartet alles sichtlich nervös auf Guthrie Boyd, einem rückfälligen Alkoholiker, der den Geist von Hamlets Vater spielt.
Die Aufführung beginnt in normalen Bahnen. Für den Fall, dass Guthrie Boyd von der vermuteten Zechtour nicht rechtzeitig auftauchen würde, scharren bereits zwei Schauspieler der Truppe mit den Füßen, die die Rolle ebenfalls beherrschen. Da der Geist nur eine Robe mit gesichtverhüllender Kapuze trägt, sollte auch kostümtechnisch ein kurzfristiger Rollentausch kein Problem sein.
Und dann folgt einer der schauerlich-schönsten Momente in der phantastischen Literatur: Der Auftritt des Geistes, der sowohl dem Publikum in der Geschichte als auch Fritz Leibers Lesern den Atem raubt. Dabei ist sehr bemerkenswert, wie wenige Hilfsmittel Leiber benötigt, um eine Atmosphäre des Unheimlichen zu erzeugen, die den Leser förmlich spüren lässt, wie das Übernatürliche kurzzeitig in die rationale Welt strömt. Leiber baut hier lieber auf nicht mehr als die Erzeugung eines jenseitigen Hauches, anstatt eine Batterie von Schockeffekten aufzufahren. So besteht für Bruces Leben zu keinem Zeitpunkt wirklich ernstzunehmende Gefahr. Die stimmungsvolle, um das Unheimliche expandierte Welt des Theaters sorgt lediglich für eine kurzzeitige aber nachhaltige Erschütterung. Es ist aber Leibers Kunst, dass er die (ihm wohlbekannte) Welt des Theaters detailreich vor uns ausbreitet, sie aber gleichzeitig wie in einem Lupenglas nur für uns sichtbar macht und zeitweilig von dem Rest der Welt abkoppelt.
Der Abgang des Geistes hinterlässt viele Fragen, die Bruce versucht, als rational gelöst hinzustellen. Aber war der Geist wirklich nur der Shakespeare ähnelnde und über dieselben Initalien verfügende Requisitenmeister Props, der bisher als einziger des Ensembles noch nie eine Rolle gespielt hat? Oder hat womöglich der affektierte und auf Guthrie Boyd eifersüchtige Star der Schauspielgruppe, Francis Farley Scott, seine Finger in der Angelegenheit?
Spekulationen folgen, aber ausgerechnet Bruce, der schon die Ouija-Sitzungen ins Lächerliche zog, ist der Einzige, der den verhüllten Bühnengeist berührt hat und unter der Robe etwas „Körperloses“ spürte. Und hat es eine Bedeutung, dass das Ouija-Brett, auf die Frage, wer „der Geist wäre, der den gespenstischen Ort heimsuchte“ folgenden Namen buchstabiert: S.H.A.K.E.S.P.E.A.R.E.? Die Rolle des Geistes in Hamlet gilt als die einzige Rolle, die William Shakespeare selbst jemals auf der Bühne gespielt hatte. Wollte er sie vielleicht noch einmal spielen?
Dann ist die Geschichte zu Ende. Und wie steht es am Ende um Bruces Eroberung von Monica? Dafür sollte man die Geschichte noch einmal lesen, den die Antwort steht am Anfang der Geschichte: „[…] eine Nacht des Entsetzens vor der Nacht der Liebe.“
Deutsche Übersetzung: „Vier Geister in ‚Hamlet'“, übersetzt von Birgit Reß-Bohusch, in: Manfred Kluge (Hrsg.), 18 Geister-Stories (München: Heyne, 1978)
Lektorat: Uwe Voehl