Originalveröffentlichung:
The Accident (1911)
Mit großer Subtilität lenkt Oliver Onions diese Geschichte einer gescheiterten Männerfreundschaft in eine unwirkliche Richtung.
Die Besonderheit an Oliver Onions‘ Schauergeschichten ist das Vorhandensein eines menschlichen Grundkonflikts, der das existenzielle Fundament der Realität abbildet, die beinahe folgerichtig unmerklich mit unheimlichen Abweichungen in Frage gestellt wird.
So auch in seiner Kurzgeschichte „The Accident“ [„Der Unfall“], die mit großem sprachlichen Geschick eine zerbrochene Männerfreundschaft rekonstruiert. Der 64-jährige Romarin macht sich auf den Weg in das Restaurant, wo er vierzig Jahre zuvor wegen irgendeines Mädchens eine Schlägerei mit seinem Freund Marsden hatte. Eine Schlägerei, die die Freundschaft der beiden Studenten abrupt beendete. Jetzt will er an diesen Ort zurückkehren, um zum ersten Mal seit damals Marsden zu treffen, der Romarins Einladung zu einem Wiedersehen zugestimmt hat.
Romarin, dessen Ziel es ist, dieses Lebenskapitel doch noch zum Guten hin zu wenden, merkt jedoch schnell, dass durch Marsdens Adern immer noch Feindseligkeit gegen ihn strömt. Als eine Art Bestandsaufnahme beschreiben sie jeweils ihre Lebensläufe. Romarin ist ein berühmter Maler, „[…] ausgezeichnet, preisgekrönt, von Monarchen beim Arm genommen […]“, während Marsden seit all den Jahren von der Hand im Mund lebt und als versoffener Straßenauswurf im Zwielicht der Gesellschaft auch mit kriminellen Mitteln um sein Auskommen kämpft. Wie Marsden plötzlich mit hämischer Freude aufdeckt, muss das Mädchen, um das die beiden sich so viele Jahre zuvor geschlagen haben, Romarin sehr viel mehr bedeutet haben, als er uns anfangs glauben gemacht hat. Die Schlägerei von damals droht vierzig Jahre später ihr wahres blutiges Finale zu finden, doch Onions hat noch ein As im Ärmel, das „The Accident“ eine überraschende phantastische Doppelbödigkeit verleiht.
„The Accident“ mag aufgrund der textlichen Knappheit zunächst etwas enttäuschen, aber wie so oft bei Oliver Onions, offenbart sich die Tiefe erst, wenn die Lektüre längst beendet ist und die Gedanken ihre Arbeit aufnehmen.
Deutsche Übersetzung: „Der Unfall“, übersetzt von Richard Bellinghausen, in: Michael Görden (Hrsg.), Totentanz – Gespensterbuch 3 (Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe, 1984)