Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 16: Stefan Mesch

Für dandelion öffnen Blogger, Autoren, Verleger, Herausgeber, Lektoren und andere Verrückte ihre Herzen und stellen uns ihre persönlichen Lieblings-Liebesgeschichten vor.
Heute zu Gast: Stefan Mesch, Autor, Literaturkritiker (u.a. ZEIT Online und Freitag), Blogger (Stefan Mesch) – und Herausgeber eines 800-Seiten-ebooks zu 20 Jahren Verbotene Liebe mit u.a. Elke Heidenreich.

Ich mag energische, willensstarke Hauptfiguren: Erzähler oder Protagonisten, die Opfer bringen, sich Gedanken machen, Entscheidungen aus guten Gründen treffen – mit Ausdauer und Verstand.
Ich brauchte viel Zeit, um zu verstehen: Solche Rollen stehen und fallen mit ihren Gegenparts. Den Widersachern, Partnern, Nebenrollen und Ensembles. Eine komplexe Figur mit guten Gründen? Toll. Aber wenn die Gegenseite ebenso komplex ist? Genauso gute Gründe hat? Dann machen Lesen, Denken, Zuschauen Kopfschmerzen – auf die beste denkbare Art und Weise.
Die kleinen Streitereien von Tom und Lynette Scavo aus Desperate Houswives begannen als recht banale Alltags- und Krieg-der-Geschlechter-Comedy. Nach vier Staffeln/Jahren täglicher Konflikte, Kompromisse und Versöhnungen wurde dieses Vorstadt-Antihelden-Paar, zwei anfangs recht platte Rollen, zeitweise zu meinem Lieblings-Ehepaar, in jedem Medium. Denn beide Partner haben gute Gründe und die besten Absichten – und zerschellen, zerfleischen, zerfetzten sich sehr klug, liebevoll und gut gespielt. (Nach 87 Episoden brach ich die Soap trotzdem fürs Erste ab)

Weitere Favoriten:

1. Richard Yates – Revolutionary Road [Zeiten des Aufruhrs] (1961)

Die US-Housewives-Vorstadtwelt als Kulisse für ein smartes, bitteres, überraschend komplexes Ehedrama: Neu in der vermeintlich spießigen, konformen Nachbarschaft tun Frank und April Wheeler anfangs alles, um nicht selbst zu Spießern zu werden. Ein Ehe-Roman, der auch mit sehr viel platteren Figuren funktionieren würde – und dem ich hoch anrechne, wie wunderbar komplex verpfuscht beide Partner versuchen, über sich hinaus zu wachsen.

2. Vladimir Nabokov  – Ada; or Ardor: A Family Chronicle [Ada oder Das Verlangen] (1969)

Ein Landsitz! Privatlehrer! Endlose Sommer! Ada zeigt dieselbe Sorte sonnig-kitschige erste Liebe zwischen sorgenfreien, blasiert artistokratischen Sprößlingen wie zahllose russische Klassiker des 19. Jahrhunderts. Nur… Überspannter. Absurder. Böse verdreht. Jeder von uns kennt ein „großes“, gefeiertes Liebespaar, das ihn kalt lässt oder abstößt – wegen zu viel Süßholzraspeln, Melodrama, Dauer-Selbstverliebtheit, -mitleid und -bezogenheit beider Partner. Van und Ada sind die „American Psychos“ unter den Kitsch-Paaren. Zwei millionenschwere Gestörte – die sich für romantische Helden halten. Ein unverschämter, brillanter, hässlicher Roman – der zeigt, dass große Liebespaare oft wenig liebenswert sind, für die Welt um sie herum.

3. Michael Chabon – The Amazing Adenvtures of Kavalier & Clay [Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay] (2000)

Zwei jüdische Außenseiter im New York der 30er bis 50er Jahre – und eine Freundschaft, die den Weltkrieg und die Kommunistenverfolgung durch Senator McCarthy überdauern will: Michael Chabon erzählt von Kriegs- und Comichelden, Groschenheften und Entfesslungskünstlern, überraschendem Erfolg, blinder Ambition, brutalster Einsamkeit. Ich kenne kein anderes Buch, in dem über 600 Seiten lang ausgelotet wird, wie ein schwuler und ein heterosexueller Mann aneinander wachsen, voneinander lernen – ohne Hysterie, Intrigen, Eifersucht oder das billige Melodrama „verbotener“ Gefühle. Ein tolles Paar – weil hier nichts funkt. Und die platonische Freundschaft mitreißender, komplexer erzählt wird als anderswo die größten Liebes-Plots.

Drei kleinere Tipps: Animal Triste von Monika Maron (eine DDR-Forscherin blickt auf eine Affäre zurück und wird zum traurigen, verbitterten Fossil), One Day [Zwei an einem Tag] von David Nichols (zwei Perspektiven, 20 Jahre: toller britischer Mainstream) und The Garden of Eden [Der Garten Eden] von Ernest Hemingway (eine Sommerfrische, die sexuell außer Kontrolle gerät: viel reifer, sensibler und wilder als alle anderen Romanzen bei Hemingway).
Mein Lieblings-Liebespaar überhaupt sind Reporterin Lois Lane und Clark Kent (Superman) – denn die Autoren nutzen diese beiden Kollegen, Kontraste und Ikonen oft für ein geistreiches, sympathisches Wettrüsten: Wie kann eine Frau ohne Kräfte mit diesem Übermensch mithalten? Lois kann – denn oft ist sie viel härter, schneller, energischer und geistreicher als Clark. Zwei Menschen, die sich gegenseitig anspornen, herausfordern, das Beste rausholen aus ihren Unterschieden und Widersprüchen. Für den Berliner Tagesspiegel habe ich länger aufgeschrieben, was mir an Clark und Lois imponiert.

3 Kommentare zu “Die liebsten Liebesgeschichten – Folge 16: Stefan Mesch

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