[Rezension] Carmen Bregy – Im Stillen umarmt

Originalveröffentlichung, 2009

Im-Stillen-umarmt

Um Im Stillen umarmt von Anfang an in einem angemessenen Licht erscheinen zu lassen, drängt es mich, damit zu beginnen, was der Roman alles nicht ist. Er ist keine Beziehungskomödie mit semiwitzigen “modernen“ Frauen. Er ist auch keine düstere Geschichte voller Betroffenheitsgestik und auch keine flammende Gesellschaftskritik. Und, wenn Im Stillen umarmt eines erst recht nicht ist, dann eine Streitschrift zu Gunsten der lesbischen Liebe. Das ist auch gut so, denn jegliche Herausarbeitung dieses Themas hätte nur den Finger in die offene Wunde gelegt und den leider noch breitflächig bestehenden Glauben an ein Anderssein untermauert. Carmen Bregy möchte aber nicht, dass ihre Charakterinnen als anders angesehen werden. Ihre wertfreie und unbekümmerte Darbietung gleichgeschlechtlicher Liebe in dieser Geschichte lässt dagegen die Klinge des Aufbegehrens nur noch empfindlicher in die Dickfelligkeit der Intoleranz schneiden. Danken wir der Autorin dafür, dass sie sich des Themas so einfühlsam und differenziert angenommen hat.
Doch was ist nun das Thema von Im Stillen umarmt? Man könnte sagen, es ist die Geschichte einer Teufelsaustreibung oder, weltlicher gesprochen, das Protokoll einer unerwiderten Liebe, deren Auswirkungen und letztlich deren Bekämpfungsversuche.
Die Ich-Erzählerin richtet sich in Form eines langen Briefes in Romanform an ihre große Liebe, von der sie inzwischen getrennt lebt, deren Wege sie aber in den Folgejahren permanent kreuzt, was alles andere als Zufall ist. Die Erzählerin (beide Frauen sind im Roman namenlos) ist eine “Herzverletzte“. Sie hat Jahre mit ihrer Liebe zusammengelebt, doch ist diese irgendwann ausgebrochen aus der Gefühlsenge und hat die Erzählerin allein zurückgelassen. Fortan pflegen sie zwar weiter Kontakt, aber während die Erzählerin ihre große Liebe ohne Abstriche haben will, bevorzugt die Geliebte einen lockeren Umgang ohne Pflichtprogramm.
“Ich bin krank vor Liebe“, schreibt die Erzählerin und durchlebt die wohl schlimmsten Jahre ihres Lebens. Jede Begegnung mit ihr wirft sie zurück: “Unser neuer Freundschaftsalltag bricht mir das Herz. Täglich.“
Sie verreisen weiterhin zusammen zu den schönen Orten Europas und wachsen beide zunehmend in ihre Rollen hinein, die sich irgendwann einmal in einer unguten Eigendynamik verselbstständigt haben. Die Erzählerin übernimmt die Rolle der Unterworfenen, die nicht mehr ohne ihre große Liebe leben kann, und die Geliebte die der Marionettenspielerin, die die Erzählerin lenkt und manipuliert, ganz wie es ihr beliebt. Beide füllen ihre Rollen so sehr aus, dass sie nicht mehr miteinander zurechtkommen, aber auch nicht ohne einander.
Bei solchen Begegnungen und “Herzklopfzugfahrten“ wachsen sie kurzzeitig wieder zusammen, um sogleich wieder durch das Agieren der Geliebten auseinander zu fallen. Für die Erzählerin eine tägliche Tortur: “Unsere Hände, die sich erinnern, selbst nach all den Jahren.“
Als die Stimmen ihrer Freundinnen immer kritischer werden und der Job zu leiden beginnt, wird der Erzählerin langsam bewusst, wie es wirklich um sie steht. “Wie ein Parasit hat sie sich in mein Hirn und mein Herz eingenistet […].“
Hinzu kommt, dass sie inzwischen so abgenabelt vom Leben ist, dass sie – ausschließlich mit sich selbst beschäftigt – die Sängerin Luzia, die sich in die Erzählerin verliebt hat, zutiefst kränkt. Ohne zu merken, was sie da tut, behandelt sie Luzia genauso, wie sie von ihrer großen Liebe behandelt wird. In einem der schönsten Sätze dieses an schönen Sätzen wahrlich nicht armen Buches gibt sie hilflos Luzias Begehren wider: “Sie tanzt mit all ihrer Herzenspracht um mich herum und wirft mit vollen Händen Rosenblätter auf den Weg.“
Eine obsessive Liebe, wie die Erzählerin sie erlebt, ist unheilbar. Ein Leben lang überdauert ein Rest davon. Aber, die Erzählerin versteht irgendwann, dass sie nur weiter existieren kann, wenn sie sich selbst so weit wie eben möglich gesundpflegt.
Carmen Bregy hat in diesem Erstlingsroman mit erstaunlicher Virtuosität so viel richtig gemacht wie man nur kann. Es wäre ihr sicherlich ein Leichtes gewesen, diesen schmalen Roman durch eine spannende Rahmenhandlung auszudehnen und mit Dramatik aufzustocken, aber sie wählte den schwierigeren Weg, nämlich den, ausschließlich die unverwässerte Essenz einer traurigen Liebe zu Papier zu bringen. Durch ihre wunderschöne Sprache, in der sich begnadete Liebesmetaphern die Hand geben, erreicht sie stattdessen ein Konzentrat, wie man es nicht oft findet.

Originalausgabe (Berlin: Querverlag, 2009)

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