[Rezension] Violette Leduc – Therese und Isabelle

Originalveröffentlichung:
Thérèse et Isabelle (1966, geschrieben 1954)

Therese und Isabelle

Dass auch Bücher ihre Schicksale haben, ist bekannt. Um Thérèse et Isabelle richtig einschätzen zu können, muss man die Hintergrundgeschichte kennen: Violette Leduc lieferte 1954 einen neuen Roman bei ihrem französischen Verleger ab, dem das Manuskript jedoch zu heiß war. Aufgrund deutlicher sexueller Beschreibungen wurde der Text radikal insbesondere um den einleitenden ersten Teil des Romans gekürzt. Das geschändete Restmanuskript erschien 1955 unter dem Titel Ravages und fand keine nennenswerte Beachtung.
Erst 1966 traute sich der Verleger, den herausgekürzten ersten Teil des Romans als eigenständiges aber erneut gekürztes Buch unter dem Titel Thérèse et Isabelle zu veröffentlichen. Dies erklärt, warum die Novelle als eigenständiger Text etwas in der Luft zu hängen scheint.
Die Handlung ist schnell beschrieben. Die beiden Schulmädchen eines Gymnasiumpensionats entdecken in einem ekstatischen Ausbruch ihre Gefühle und ihre sexuelle Anziehung zueinander. Therese erzählt in der ersten Person, wie die offensive Isabelle sie in einen Taumel aus Lust und Befriedigung zieht. Die Novelle erzählt infolgedessen in expliziten Details das sexuelle Erwachen und Erwachsenwerden der beiden Mädchen. Bei schlechteren Schriftstellern als Violette Leduc wäre die Geschichte lediglich eine ermüdende Aneinanderreihung von Sexszenen. Aber Leduc ist eine zu gute Schriftstellerin dafür. Ihr Ziel war wohl durchaus, jedes Detail, jede körperliche Empfindung und daraus resultierende orgasmische Ekstase minutiös festzuhalten. Aber ihre metaphernreiche, lyrische Sprache erstickt jegliche mögliche Kritik im Keim. Nur in den nötigsten Fällen benutzt Leduc sachliche Bezeichnungen wie „Schamlippen“ und „Anus“, ansonsten ist alles überhöhter sprachlicher Ausdruck – eine Ekstase auch der Sprache.
Die Geschichte um Therese und Isabelle handelt von nur wenigen Tagen und Nächten, die für die beiden wie ein Rausch vergehen, gefangen zwischen ihrer nicht zu zügelnden Leidenschaft und der steten Angst, erwischt zu werden. Violette Leduc erspart uns Gott sei Dank, dass dies passiert. Im Gegensatz zu anderen Mädchenpensionats-Romanen (wie z.B. Christa Winsloes Das Mädchen Manuela) zählt hier nur die Hoheit der Gefühle, die Reinheit der erotischen Anziehungskraft. Die obligatorische Anklage und Bestrafung findet in Thérèse et Isabelle nicht statt.
Somit ist Thérèse et Isabelle eine äußerst seltene lesbische Liebesgeschichte, in der gleichgeschlechtlicher Sex vorwurfsfrei offen dargestellt wird.
So kann man spekulieren, was passiert wäre, hätte Leducs Verleger 1955 den kompletten Roman veröffentlicht. Möglicherweise hätte es einen Skandal gegeben. Möglicherweise hätte Violette Leduc heute aber auch den Ruf einer großen lesbischen Erotikerin. Ihre literarischen Fertigkeiten lassen Violette Leduc unabhängig davon ganz oben stehen. Ich kenne nichts auch nur ansatzweise Vergleichbares.

Deutsche Übersetzung: „Therese und Isabelle“, übersetzt von Nikolaus Klocke, in: Violette Leduc, Therese und Isabelle & Die Frau mit dem kleinen Fuchs (München: Piper, 1967)

Anmerkung: Erst 2000 veröffentlichte Leducs französischer Verlag Thérèse et Isabelle in genau der Fassung, wie die Autorin den Text 1954 eingereicht hatte. Eine deutsche Übersetzung dieser Originalversion ist offenbar leider nicht in Sicht.

Lektorat: Uwe Voehl

7 Kommentare zu “[Rezension] Violette Leduc – Therese und Isabelle

    • Mindestens genauso gern wie ich die Geschichten lese, die ich bespreche, recherchiere ich im Vorfeld über sie, und da gerät man immer wieder auf Irrwege und liest über Bücher, auf die man sonst nie stoßen würde. Alle Beiträge mit dem Tag „Lesbisch“ beruhen auf Recherchen, die ich für eine Arbeit über lesbische Literatur gemacht habe, die mir aber dann aufgrund der Datenfülle aus dem Ruder gelaufen und restlos über den Kopf gewachsen ist.

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      • Ist „Thérèse und Isabelle“ die vielleicht ausführlichere Darstellung der Liaison mit ebenjener Isabelle, die zu Beginn der Bastardin auftaucht? Weißt du, ob das Werk auch autobiografisch (angehaucht) ist und ob es sich bei Thérèse gar um die Autorin handelt?
        Ich bin über den letztens erschienenen Streifzug durch die französische Liebesliteratur Wie die Franzosen die Liebe erfanden von Marilyn Yalom auf Violette Leduc aufmerksam geworden und kann dir nur beipflichten, dass ich bisher nie eine ähnlich intensive Beschreibung der lesbischen Liebe gelesen habe, wie bei ihr.

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  1. Hallo skaldenmet,
    tatsächlich ist bekannt, dass die Novelle „Thérèse und Isabelle“ stark autobiographisch ist und Thérèse tatsächlich ein Alter ego von Violette Leduc ist. Nachdem „Thérèse und Isabelle“ aus dem ursprünglichen Roman „Ravages“ vom Verlag wegen des expliziten sexuellen Inhalts herausgekürzt worden war, verwurstete Leduc den Text zunächst in Die Bastardin. Erst später entschloss sich der Verlag, das aus dem Roman herausgerissene Textfragment als „Thérèse und Isabelle“ zu veröffentlichen.

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  2. Hat dies auf celiamartinblog rebloggt und kommentierte:
    Von Violette Leduc kenne ich bisher nur ein Buch, „Die Bastardin“. Diese Buchbesprechung von Frank Duwald macht neugierig auf ein anderes Werk. Allerdings werden nur diejenigen, die gut genug Französisch sprechen, die Geschichte einer amour fou zwischen zwei Frauen lesen können, auf Deutsch gibt es sie wohl nicht. Mich erinnert die Grundkonstruktion, auch die Erzählweise, an Blau ist eine warme Farbe.

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  3. Pingback: Auf der Suche nach den verlorenen Büchern 8: Violette Leduc | Libroskop

  4. Pingback: “Therese and Isabelle” was too daring French – Arcynewsy

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